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- - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - 2010-03-13
| [This text should be read in deutsch]
Mein Leben lang fürchtete ich mich vor der Armee. Ich weiß nicht, zu wem ich alles schon als Kind gebetet habe, dass ich vom Krieg verschont bleibe. Das verstärkte sich in der Jugendzeit. In einem der Albträume, der mich oft im Schlaf heimsuchte, war ich an der Front, wurde von Panzern und Kugeln verfolgt und hatte keine Verteidigungsmöglichkeiten. Ich hatte keine Kugeln und keine Möglichkeit, mich zu verstecken. Es war schrecklich und ich wurde den Albtraum erst los, als ich endgültig aus der Evidenz der Armee gestrichen wurde (1999).
Im Wachzustand hatte ich einen anderen Albtraum: Da ich ein guter Schütze war – 1965 habe ich einen nationalen Universitätspreis beim Mannschaftswettbewerb im Scheibenschießen erhalten -, führte ich mir dauernd vor Augen, wie es sein würde, wenn ich in einem Schützengraben einen feindlichen Angriff abwehren müsste. Beim Militär, weil doch davon die Rede sein wird, schoss ich fast für das ganze Bataillon, schnell, damit wir die -20° auf dem Schießstand von Tureni hinter uns lassen konnten. Daher grauste es mir vor dem Gedanke, dass ich Mensch um Mensch erschießen würde, alle unschuldig wie wir auch, nur weil einige demenzkranke Chefs sich nicht einigen können, wer von ihnen der Stärkere sei. Und es würde mich selbstverständlich zur Flucht verleiten und die Angreifer oder meine eigenen Leute würden mich erschießen. Wie auch immer, aus Angst vor dem Militärdienst habe ich vielleicht die Karriere meines Lebens verpasst: die Musik. Nach dem Absolvieren des Lyzeums, mit 17 Jahren, beabsichtigte ich, zusammen mit meiner Kollegin, dem Popenmädchen das meine Frau wurde, Aufnahmeprüfung am Konservatorium in Cluj abzulegen. Sie hat auch einige Stunden mit einem damals bekannten französischen Lehrer, D’André, genommen und beide wurden wir von dem jungen Assistenten Alexandru Fãrcaº angehört, der kürzlich verstorben ist, nachdem er Rektor und Direktor der Rumänischen Oper in Cluj geworden war – ein guter Handwerker also, obwohl er auf Sänger- zugunsten des Pädagogikruhmes verzichtet hat. Nachdem er mich angehört hatte, garantierte er mir eine Aufnahme in die Canto-Klasse, was damals extrem schwer war, wo doch für jeden Jahrgang nur ein Platz pro Stimme zur Verfügung stand, aber ... nach circa zwei Jahren, wenn meine Stimme ausgereift sei. Er hatte recht, denn von einem Bass zu Lyzeumszeiten – ich sang meinen Kollegen aus dem Repertoire des berühmten schwarzen Basses Paul Robeson auch die Arie des Don Basilio vor – wandelte ich mich zu einem Bariton mit Zugang zu Tenor-Kopfregistern. Wenn ich sein Angebot angenommen hätte, wäre ich für genau diese Zeit bei der Armee gelandet und anschließend ruhmreich wieder zur Musik zurückgekehrt. Aber die Angst vor dem Militärdienst bewog mich, nach diesem zum Teil nicht geglückten Versuch auf dem Weg zum Clujer Bahnhof bei der Philologie einzukehren, die letzte Fakultät links in der Horea-Straße. Ich schaffte es und verfehlte ein Belcantoleben. Was ich gewonnen habe, weiß ich nicht. Während meiner Studentenzeit hatte man ein stupides Qualsystem für jugendliche eingeführt: einen Tag in der Woche militärische Ausbildung, in Uniform und mit echten Waffen, zusammen mit den Mädchen ebenfalls in dieser unansehnlichen russischen Militärbekleidung. Der Schwachsinn dauerte paar Monate und jeder Tag war ein Albtraum, ob für alle, weiß ich nicht, aber für mich auf jeden Fall. Ich weiß noch, dass ich auch damals zu Dem-Da-Oben betete, er möge etwas unternehmen, damit diese Qual ein Ende nehme. Und er hat mich wieder erhört und jemand in gehobener Stellung in der Armee die Einsicht geschenkt, dass die ganze Geschichte ziemlich komisch war, ineffizient und den Studenten auch noch die Zeit zum Studieren raubte. Damals studierten die Studenten wirklich noch, in überfüllten Bibliotheken und nicht wie heute in Bars und Diskotheken. Aber nachdem ich die Fakultät absolviert hatte und einem Institut der Akademie zugeteilt wurde, gab es kein Entkommen mehr: Die Volksarmee hat sich meiner für ein halbes Jahr als Teilnehmer im ersten Jahrgang der Schule für Reserveoffiziere in Otopeni bemächtigt. Der erste schwere Schock – ich ging zum Friseur, obwohl ich seit meiner Kindheit (Lyzeum) in keiner Friseurstube mehr war und oft ermahnt wurde, mein rebellisches und oft in Locken geflochtenes Haar zu kürzen. Ich schnitt meine Haare selbst und mache das auch heute noch mit fast geschlossenen Augen. Die Prozedur kam mir wie eine Verstümmelung vor, aber diesmal hatte ich keinen Ausweg. Ich betrat einen Friseurladen an der Someş-Brücke und ließ mich von einer kriminellen Hand verschandeln. Eine Glatze wollte ich mir nicht zumuten, wie andere Leidensgenossen das taten, aber kaum dass mir noch einige Haarfäden auf dem Schädel blieben und die Zöpfe waren zur Gänze verschwunden. So „zugerichtet” und frisch rasiert meldete ich mich bei einer Kommandantur in Bukarest, von wo wir, circa 150 Absolventen aller Humanfächer – Philo, Theater, Kunst, Naturwissenschaften, Geografie etc. – nach Otopeni in Kasernen des internationalen Flughafens gebracht wurden. (Teile davon stehen heute noch.) Ich bekam einen Platz in einer Halle mit etwa 80 Betten – eine ganze Kompanie wäre da untergekommen -, so dass ich wohl den Lärm, die Gerüche und Träume, die Nacht für Nacht unter der roten Kontrolllampe herrschten, nicht mehr kommentiere. Ich habe schon betont, dass eine meiner Justierungslösungen für das vom Regime gewährte Leben in der „Volksdemokratie” das Austricksen dieses um jeden Preis war. Ich habe versucht, eine Blindheit vorzutäuschen und einige Tage im Militärspital zu vergeuden. Ich habe vorgegeben, mich in der Malerei auszukennen, und konnte so noch etwa vier Wochen beim Anfertigen von Spruchbändern für den 23. August den Militärdienst schwänzen. Eigentlich arbeiteten die bildenden Künstler und ich versorgte sie mit Essen und Getränken. Auch hier habe ich eine Unterhaltungsmusikgruppe gegründet, mit der ich öfter nach Bukarest ins Kulturhaus der Studenten zum Proben und danach zu Auftritten fuhr. Die Ausbildung verpasste ich fast ganz, war ich doch der einzige, der sich „freiwillig” meldete, die Kollegen mit den 11- und 17-Uhr-Jausen zu versorgen. Der Schlauberger von Zugkommandant, ein kleiner und ziemlich zigeunerischer Major, der auch den Krieg mitgemacht hat, legte uns mit der schleimigen Information rein, dass er für diese Aufgabe niemanden ernennen werde, da es sich um etwas Schweres handle und er an unser Gewissen appelliere. Keiner bemerkte sofort die Vorteile: Essen zum Sattwerden bei den Brotzeiten und besonders die jedem Kleinhirn einleuchtende Situation, dass der Jausenträger für 30 Leute nicht in der Formation mitmarschieren konnte. Ich trat allein als „Freiwulliger”* vor und lebte bojarenhaft: Ich schritt allein hinter der Formation her, pfeifend, ohne Waffen, ohne Karst, und oft brach ich gar nicht mit der Gruppe auf, sondern präsentierte mich um 11 Uhr auf dem Übungsplatz. Ich blieb in der Küche bei den kolossalen Braten des Kochs, die er eigentlich den Pimpfs vorenthielt. Aber es war genug Fleisch vorhanden, so dass man auf den Tellern der Verschwitzten nichts merkte. Alle beneideten mich und begannen zu protestieren, man möge mich dieser Aufgabe entbinden. Aber Major Năzăreanu wollte davon nichts hören, argumentierend, dass ich der Einzige war, der sein Angebot angenommen hatte. So dass meine Militärzeit sich auf das Herumspazieren mit dem Jausenbehälter reduzierte. Darin hatte ich in der Regel einige mit gebratenem Salami oder gutem Käse belegte Brötchen. Die Wahrheit ist, dass wir gut aßen und alle dick wurden. Immerhin hatten wir eine Offiziersverpflegung und wurden in der Kantine sogar bedient. Dazu gingen wir fast jeden Abend in Otopeni in eine nahe Kneipe, „Cireşica”, wo uns eine gewesene Motorradmeisterin – ich glaube, sie hieß Florica – mit Würstchen und kaltem erwartete. Sie bewahrte uns auch vor den Kontrollen der Militärpatrouillen, die befürchten mussten, bei den Portionen benachteiligt zu werden, wenn sie sich an „Floricas Jungs” hängen würden. Ich sage „fast Abend für Abend”, denn ab und zu spielten wir in der Nacht Poker, um uns von den „Spendern” Geld zu besorgen. Bis sich ein Sergeant aufregte und so viele einlochte, wie viele im Gefängnis Platz hatten. Ich hatte wie immer Glück und kam ungeschoren davon. Nun sollten Sie wissen, dass dieser Platz aus Otopeni bereits von einem berühmten Schriftsteller bekannt gemacht wurde. Es ist Petru Popescu, der in seinem zweiten Roman Süß wie Honig ist die Kugel des Vaterlandes Örtlichkeit und Personen (z. B. Hauptmann Stoica) genau beschrieben hat. Er kam nach unserer Entlassung in die Einheit. So dass ich den von der Kritik jener Zeit gut aufgenommenen Roman besonders genossen habe. Wenn sie mir das nicht glauben, fragen Sie Nicolae Prelipceanu* oder Vasile Igna*, Freunde aus derselben Gruppe. Politische Ereignisse gab es wenige. Eins ist zum ohnmächtig werden und kaum zu glauben. Wir hatten einen Oberstleutnant, der politische Kommissar des Bataillons, geführt von General Nicolae Nicolaescu, ein Mann aus dem Volk, zuverlässiger Stalinist, der wahrlich nicht anders hieß als Vraja* - ein prädestinierter Name für politische Stereotypien. Als er merkte, dass wir ziemlich intellektuell eingestellt waren, zitierte er uns schon mal aus den Klassikern, mit Vorliebe natürlich aus Eminescus „Der dritte Brief”, dem kriegerischen. Nur, als er an einem bestimmten Vers anlangte, in dem unser Nationaldichter Darius erwähnt („beginnend mit jenem Gast, der sich seit jeher / nennt Darius des Istaspe”), verkaufte er uns diesen im Glaube, dass nur er dieses Wissen besitze, als „Dorin des Izpaşte”. Das Zitat war als Witz gedacht, so dass Vraja unser Gelächter als Anerkennung seines absolut rudimentären Humors interpretierte. Eigentlich hatte er gar keinen Humor, im Gegenteil. Es stellte sich heraus, dass er irgendwann auf eine Art und Weise so wurde, die selbst eine Erzählung hergeben würde. Oberst* Vraja kam eines Tages aufs Exerziergelände. Unser Major war auch ein Drückeberger und brachte uns meist in ausgetrockneten Rinnsalen in Stellung. Dann schickte er die Versorgungsgruppe, zu der ich als Tarnungsexperte natürlich ausnahmslos gehörte, in die Kneipen, um Verpflegung zu besorgen. Aber er bat uns spitzbübisch, im Notfall wie die Löwen zu springen, denn er wolle als Letecol* in Rente gehen, und zeigte auf seine Epauletten mit dem einen Stern. Zum „Zauberschein” postierte er uns in Kampfformation an einem nahe gelegenen Feld, das wir mit roten sowjetischen Hurra-Rufen einnehmen mussten. Der bedauernswerte Major – wer weiß, zu wie vielen Sternen er es im Himmel gebracht hat – wusste nicht, dass das schöne Kampffeld in einem nicht großen, aber auch nicht gerade kleinen Sumpf endete. Der Befehl „Zum Angriff vorwärts!” wurde gegeben. Und wir stürmten wie Monsterlöwen mit schauderhaftem Gebrüll, das aus unseren ausgeruhten und mit Wodka gestählten „Kupferbrustkörben” kam, vorwärts – genauso wie die Russen gegen die technischen Deutschen kämpften, mit Wodka statt Kugeln. Unser glor- und heldenreicher Enthusiasmus endete aber an besagtem Sumpf. Vergebens schwenkte der Major sein „grünes Fähnchen” und forderte uns verzweifelt zum Vormarsch auf. Wir blieben am Rande des Schlammes wie festgenagelt stehen. Und dann geschah das Wunder: Vraja, der uns auch gefolgt war, erreichte uns, blieb in der ersten Linie stehen und entriss mit einem absoluten „Kolchoslächeln” einem Soldaten das überflüssige Gewehr. Mit der ironischen Bemerkung „Wie, Ihr fürchtet euch vor dem bisschen Schlamm?”, stakte er mit seinen polierten Halbschuhen in den Sumpf, dass der Schlamm ihm an den mit der tadellos gebügelten Paradehose bedeckten Beinen hochstieg. Wie der sowjetische Befreiungssoldat dachte er, sein Beispiel werde die erschreckten Kombattanten anspornen, sich blindlings in den Kampf zu stürzen. Wir, obwohl mit den am Vorabend mit militärischer Sorgfalt gecremten Schnürstiefel ausgestattet, bewegten uns keinen Zentimeter. Als der Oberst sah, dass keiner seiner Untergebenen ihm folgte, kehrte er mit einem verächtlichen Blick um, schmiss die Waffe wortlos zu Boden und schritt voll mit Dreck bis an die Knie mit totaler Verachtung, wie Alecsandris Sergeant „seinen Fuß nachziehend” von dannen. Wir gaben ihm alle Ehrenbezeigungen wie in dem betreffenden Gedicht. Nur der Major seufzte hinter ihm her, sich mit vernehmbarer Stimme sagend: „Mein Letecol-Stern ist dahin. Jungs, Jungs, was habt Ihr mir angetan?” Ansonsten war Oberst Vraja ein anständiger Mensch, der niemand ein Leid zufügte. Ein weiteres „politisches”, das sogar tragisch hätte enden können, trug sich auch zu. Es nahte der Nationalfeiertag der Tschechoslowakei. Den Tag habe ich vergessen, im September oder Oktober. Was spielt das auch schon für eine Rolle, wo doch die Große Sowjetische Oktoberrevolution im November stattfand. Es wurde uns mitgeteilt, dass der Militärattaché der tschechoslowakischen Botschaft in Bukarest uns zu diesem Anlass besuchen wird. Zu uns gehörte ein Tschechisch-Absolvent, Boby Rusu, der Chefredakteur der TRIBUNA SIBIULUI wurde, wenn er es nicht vielleicht heute noch ist. Ein unvergesslicher Spaßvogel. Er hat uns zusammengerufen und uns gesagt, es wäre doch „toll”, etwas Spektakuläres bei diesem Besuch zu machen und zwar im passenden Augenblick eine Losung in Schwejks Sprache zu rufen. Er hat sie uns auch gleich vorgesagt und wir haben sie notiert, damit wir sie ja nicht vergessen: „Viseruse vshorah na þelui voinu!”. Ich glaube, keinen Fehler gemacht zu haben, es klingt immerhin tschechisch und so habe ich es zumindest behalten. Dann kam auch der Tag des Besuches. Wir waren in einem Veranstaltungsraum der Einheit versammelt und warteten in Ruhe. Der General, der Bataillonskommandeur und der Militärattaché des „benachbarten und befreundeten” Landes betraten den Saal. Ich machte Boby Rusu verzweifelt Zeichen, der etwas abseits von unserer Gruppe stand und anscheinend unsere Verabredung vergessen hatte. Seine ratlosen Gesten deutend, hätte ich fast losgeschrieen: „Die Losung!” Dann übersprang Boby zur allgemeinen und des Generals Überraschung einige Stuhlreihen und hielt mir den Mund zu, mit dem ich gerade die Losung ausrufen wollte. Um die Situation zu retten, sagte Boby etwas auf tschechisch zu dem Attaché und alle haben sich beruhigt. Ich weiß nicht, was er zu dem Individuum gesagt hat, aber zu mir sagte er nach dem Besuch: „Idiot! Weißt du, was dass heißt, was diese Losung bedeutet? Rumänisch heißt es „Ich scheiß nach oben auf die ganze Armee!” Erst dann realisierte ich, was passieren hätte können: Das Militärgericht hätte uns geschluckt, wenn nicht gar ein Krieg zwischen den kommunistischen Bruderländern ausgebrochen wäre. Weniger „politisch” sind zwei andere Ereignisse. Das erste: Vom Eintritt in die Kaserne und bis zum Ablegen des militärischen Schwurs hatten wir viele Freuden. Schon am zweiten Tag brachte man uns ein Fernsehgerät, um die Halbfinals und das Finale der Fußballweltmeisterschaft in England (Juli 1966) verfolgen zu können. Wir fühlten uns wie zu Hause, besonders da einige von uns sich schon gut in der Gegend auskannten und die gesegneten, für ein Spiel mit dem runden Leder unverzichtbaren, kalten Bierflaschen bereitstanden. Das zweite war etwas tragisch: Genau in den ersten Wochen geruhte es den Minister der Streitkräfte, Leontin Sălăjan, Favorit von Ceauşescu, zu sterben. Es wurde Nationaltrauer angeordnet und der Sarg standesgemäß im Vorraum des Palastsaales aufgestellt. Wir wurden neu eingekleidet, bekamen Gebratenes und Wodka und wurden zur Ehrenwache am Sarg abkommandiert. Es war nach etlichen Tagen der Isolation in der Kaserne unser erster Kontakt mit der Bevölkerung in Bukarest. Natürlich „abgestanden”, wie wir waren – die Bromzugabe im Tee wirkte nicht sonderlich – und immerhin Soldaten, pfiffen wir auf dem Weg zum Palast von den offenen Militärlastkraftwagen, so oft wir einen Frauenfuß sahen. Wie echte Flegel! Warum auch nicht? Wir hatten vergessen, dass wir Intellektuelle waren und zeigten natürliche Reaktionen von Menschen aus dem Volk. Unsere Flegeleien erfuhren sogar in Sargnähe eine gewisse Ausprägung. Am schön in Generalsuniform gekleideten Leichnam vorbeischreitend, würdigten wir ihn mit seinem leuchtenden Gesichtsausdruck keines Blickes, sondern schenkten unsere gierige Aufmerksamkeit voll und ganz, schließlich waren unter uns keine Homosexuelle, der Bank mit den trauernden Familienangehörigen. Warum? Sehr einfach: unter den trauernden war ein sehr ansehnliches junges Fräulein, das zwei für uns sehr anregende, in schwarze Strümpfe gehüllte Oberschenkel unter ihrem kurzen Trauerrock zeigte. Sie saß, wie man so sagt, „Fuß über Fuß”. Die Geschichte war ungewollt kulturell, denn der Dichter Nicolae Prelipceanu, der schon einen Gedichtband veröffentlicht hatte, Der schiefe Turm, erklärte uns sofort, dass die weibliche Persönlichkeit, nach der wir alle, Liebhaber oder Nichtliebhaber der Literatur gemeinsam, lechzten, keine andere war als ... die Dichterin Doina Sălăjan, Enkelin oder sogar Tochter des Verblichenen. Ein anderes, nach allen Regeln der Kunst dramatisches Ereignis fand statt, als ich noch einen Monat bis zu meiner Entlassung aus der Armee hatte: Einer von uns war aus der Einheit getürmt. Nelu Crețu, mittlerweile Universitätsprofessor für Englisch an der Clujer Philologie, ist schlicht und einfach desertiert. Wir waren konsterniert, denn er hatte uns nichts von seiner Absicht mitgeteilt, kurz nach Sibiu zu fahren, von wo ihn jemand wissen ließ, dass seine junge und schöne Frau fremdgehe. Wenn er uns etwas gesagt hätte, wie andere das auch taten, hätten wir ihn geschützt. Es hätte ausgereicht, beim Abend- oder Morgenappell ein „Hier!” zu rufen, und niemand hätte etwas bemerkt. Aber so herrschte beim Erklingen seines Namens Grabesstille. Und alles roch nach Grab: Es wurde Alarm ausgelöst und die Hatz nach ihm begann. Noch bevor er überhaupt überprüfen konnte, ob das Gerücht mit seiner Frau stimmte, wurde er im Bahnhof von Sibiu verhaftet. Es war leicht, ihn einzufangen, denn der Unglückliche hatte nicht einmal die Eingebung gehabt, Zivilkleider, die wir alle bei Familien in den umliegenden Wohnblocks zur Aufbewahrung hatten, anzuziehen. Desaster: Wir haben ihn öffentlich al „Deserteur” verurteilt, er wurde aus der Reserveoffiziersschule geschmissen, in der wir weniger als einen Monat noch verblieben, und in ein Strafbataillon gesteckt, wo er weitere sechs Monate Militärdienst „unter der Gürtellinie”, also beim Bau (Pioniere) ableisten musste. Alles vergebens, denn der Englischprofessor ließ sich dann doch scheiden, und das aus seiner und nicht ihrer Initiative, und die Robot hat ihn gar nicht geschwächt. Er blieb rundlich, wie er es auch heute noch ist. Der Armeedienst endete mit einem ziemlich brutalen Gelage, bei dem wir uns von den „anständigen” Offizieren verabschiedeten und den wenigen „teuflischen” den Rücken kehrten. Wir schlossen triumphal mit der Paraphrasierung eines militärischen Marschliedes, mit dem der Militärchor uns quälte. „Republik, gepriesene Heimat”, die unglückliche Idee eines patriotischen Dichters, wurde von uns in perfekter Euphonie als „Republik, ich zieh in die Heimat” gesungen – zur endgültigen Enttäuschung unserer guten Offiziere, vor allem des unvergleichlichen Obersts Vraja. So also war die Armee zumindest für mich eine Art Unterhaltung. Die Offiziere benahmen sich uns gegenüber mit Handschuhen. Aber wie hätten sie auch anders können, wo wir doch alle ausgefiltert waren und einige sogar aus ihrer Branche. Es bleibt erinnerungswert, wie Năzăreanu unseren Zugletzten, einen Bulea, klein und verkümmert, ziemlich laut fragte, was er gedenke, im Zivilleben zu tun - wir hatten alle unsere Zuweisungen in der Tasche -, worauf der mit einem unnachahmlichen Gleichmut antwortete: Militärstaatsanwalt, Herr Major.” So war es dann auch. Ich fand ihn nach Jahren in einem Richtergremium in Sibiu wieder. Ohne Kommentar. Ihr, die Ihr Militärdienst geleistet habt, müsst es ja wissen: Die Erinnerungen an die Militärzeit sind die schönsten und unsterblich. Vieles vergisst man, aber die Armee nie! [aus dem Rumänischen von Anton Potche] Anmerkungen*: - Freiwulliger = gemeint ist Freiwilliger; Anspielung auf Ceauşescus Aussprache, der nicht „voluntar” sagte, sondern „volintir” - Nicolae Prelipceanu (*1942) = rumänischer Dichter und Publizist - Vasile Igna (*1944) = rumänischer Poet & Prosaiker - Vraja = Zauber - Oberst = auch ein Oberstleutnant wurde in der rumänischen Armee von seinen Untergebenen mit Oberst angesprochen - Letecol = militärische Alltagssprache für „Locotonent colonel” – Oberstleutnant (zwei Sterne) |
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