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Bei der Granatapfelernte in Rahova – 21
prose [ ]
Erinnerungsroman von Anni-Lorei Mainka [Almalo ] (1958 - 2014)
Compilation: Ãœbersetzungen

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by [Delagiarmata ]

2020-01-10  | [This text should be read in deutsch]  

Literary Translation - Translations of classic and original poetry and other materialsThis text is a follow-up  | 



Ein harter Winter – Teil I

2006

Der Winter war hart.

Verschiedene Vorkommnisse Made in Germany, klar und zum allgemeinen Verständnis: Erhöhung von Gebühren, der Krankenversicherungen, einige stereotype Erklärungen, Experten in grauen Anzügen mit ebensolchen Blicken im Fernsehen und dann das sofortige Inkrafttreten aller Gesetze. Die Bestattungshilfen wurden gestrichen, die Subventionen für die Straßenbahn- und Zugfahrkarten für Rentner auch. Die Behandlungen für Kranke wurden von fünf auf drei Wochen reduziert.

Ein harter Winter, es hat einige Tage lang ununterbrochen geschneit.

Ein Winter, den ich nicht vergessen werde. Mutter hat sich auf ihre Art verabschiedet: Sie hat alle Schüsseln mit Krautwickeln gefüllt, die Balkonecken mit Äpfel- und Kartoffelsäcken, Salamis aller Längen und Geschmäcke, hat die Wohnung zum letzten Mal vor Weihnachten noch einmal in einen kleinen Laden verwandelt, hat gesagt „zu spät“, uns zugelächelt und ist gestorben.

Ein harter Winter.

Es war an einem Weihnachtsnachmittag und ich war noch nie in einem Bestattungsinstitut. Mutter hatte aber auf dem Tisch zwischen Bergen von Knöpfen, Nadeln und Gummibändern verschiedener Längen auch einige Visitenkarten gesammelt. Ich habe bei der erstbesten, die ich sah, angerufen.

Herr Klaus sah aus wie ein Hippie oder Gitarrist, nicht wie ein Bestatter. Langes Haar, zu einem Zöpfchen gebunden, ein Ring am kleinen Finger, die Nägel mit transparentem Lack beschichtet. Das leere Lächeln, ja, das passte zu ihm, ich denke aber, dass es eher aus einer tiefen Langeweile kam oder aus dem Frost, der sich nicht von der Wintersonne besiegen ließ. Irgendwie zeigte er mir unverhohlen, dass ich ihm den dritten Weihnachtstag vermasselt hatte.

Ich habe ihn gefragt, was er gemacht hat, bevor er Särge, Kerzen und Kränze verkauft hat.
„Ich war arbeitslos.“
„Und vorher?“
„Ich war Verkäufer von Zwirn, Lockenwickeln und Stoffen.“
„Haben Sie nicht Psychologie studiert“, fragte ich ihn im Trance. Nicht dass mich seine Vergangenheit interessiert hätte, aber ich konnte nicht umhin, ihn zu fragen, denn dieser Mann mittleren Alters zeigte mir deutlich, wie fehl am Platz ich ihm vorkam, in der mitten Weihnachtszeit schmerzgebeugt zu ihm zu kommen und ihm seine gute Laune zu verderben, wo er mich doch moralisch unterstützen und mir auf die Schultern hätte klopfen müssen, um mich im Angesicht des Todes zu trösten, der meiner Familie so nah gekommen war.

Auch meine Fragen konnten seine Langeweile nicht zerstreuen. Er verhielt sich weiter wie ein Verkäufer ohne jedwedes Gefühl für die Tragik, die uns fast erdrückt hätte, hätten wir nicht tief durchgeatmet. Selbst das Atmen, lernte ich in jenen Tagen, konnte schmerzen, ohne dass man sich an etwas angeschlagen hatte. Monate lang hatte ich das Gefühl, Steine statt Luft einzuatmen.

„Wünschen Sie einen weißen oder schwarzen Sarg. Mit vergoldeten Griffen oder aus dunkelrötlichem Kupfer?“
„Die Farbe interessiert uns nicht, aus Holz …“, fuhr ich fort.
„Ach, warten Sie ein wenig, ich kann Ihnen etwas aus der Sommerkollektion anbieten, italienischer Stil, am Rand mit venezianischen Spitzen, eine Augenweide … Oder eine Herbstkollektion, in Pastellfarben, ich habe sie aus Schweden importiert …“

Der Schmerz hatte beim Hören dieser Beschreibungen einen merkwürdigen Geschmack. Die Stunden zogen an mir vorbei und ließen mich weder weinen noch lachen. Er beschrieb mir Italien, Frühling und Herbst, streckte seine Hand mit den lackierten Fingernägeln aus und streichelte die Spitzen, als würden wir von einer anderen Zeremonie und keineswegs von einem Begräbnis sprechen …

„Mutter ist nicht mehr, sie war eine betagte Frau, ich glaube nicht, dass sie die Spitzen und die Farbe noch interessieren.“

Mit einem wie am Spiegel einstudierten Lächeln antwortete er:
„Man weiß nie … hihihi …“

Dann hob meine Tochter, die in einer Kollektionszeitschrift für Herbst und Sommer blätterte, den Blick und sagte:
„Großmutter war nie in Italien, nein, uns interessiert der italienische Stil nicht, wir wollen einen normalen Sarg, aus Holz, und das Deckchen kann mit oder ohne Spitzen sein, die Liebe wird nicht in Formen gemessen, wie viele Quasten eine Trachtentruhe hat oder die Länge der Spitzen …“

„Was weißt du, was deine Großmutter sich wünschen würde? Du bist klein!“, entgegnete Herr Klaus. „Würdest du dir nicht wünschen, die Welt in Rosa gekleidet zu verlassen.“

„Ich würde mir wünchen, nie fortgehen zu müssen, und wenn doch, ist es egal wie, aber ich glaube nicht, dass mich der Stil noch interessiert … Großmutter war nie in Italien. Verstehen Sie nicht?“

Herr Klaus stellte sich taub, sprach vom Licht in Italien und vom Geruch des Waldes, den das gut präparierte Holz der tatsächlich schönen Kisten ausstrahlte.

„Ah, ich habe vergessen“, fügte er hinzu, mit einer Hand seinen Zopf auf die Schulter legend und mit der anderen sichtlich befriedigt die reichen Spitzen der herausstaffierten Särge streichelnd, „ich habe vergessen, es ist ein Angebot … 2800 Euro und nicht 4000 wie bis gestern …“

Hätte ich nicht auf dem Stuhl gesessen, wäre ich vielleicht ohnmächtig geworden und wir hätten sogar zwei Kisten benötigt. Als Herr Klaus sah, wie ich weiß im Gesicht wurde, machte er eine Pirouette, schob einen Vorhang beiseite und zeigte ungerührt, in dem Ton, in dem er vorher Haarwickeln, Teppiche und Staubsauger verkaufte … ja, er zeigte uns die normalen Särge für gewöhnliche Menschen, die er hinter dem Vorhang hielt.

Wahrscheinlich wollte die aus Italien und Schweden niemand kaufen und er wollte sie uns um jeden Preis andrehen.

„Eh, ich verstehe, Sie wollen alles einfach“, antwortete Herr Klaus mit einem Blick auf die Uhr.
„Ja … Der Tod ist ein Weg, ein Weg, auf dem wir uns nicht sehr viel Kitsch, Rucksäcke, Gewichte leisten können. Mutter hat genug davon geschleppt.“

In diesen Momenten fühlte ich mich fehl am Platz in diesem Büro voller Holz und vorbereiteten Betten für die, die nicht mehr sind. Der Tod hatte angeklopft, die Welt stand ab sofort auf dem Kopf, und ich musste ununterbrochen rechnen, wieviel jeder zu unternehmende Schritt kostet, jedes Papier oder jede Genehmigung.

„Ja, ich weiß, dass es Ihnen nicht leicht fällt, aber Ihre Mutter verdient das Beste.“
„Sie hat es verdient Herr, jetzt ist sie tot, jetzt werden wir sie zu dem Grabe tragen, das sie zu meiner Freude selbst bezahlt hat.“
„Ach, es ist nicht so … warten Sie, vergessen Sie nicht, dass Sie auch die Totengräber bezahlen müssen. Wie sollen sie nach Ihrem Wunsch eingekleidet sein? Mit weißen, schwarzen oder rosa Handschuhen, oder ohne? Zwei, drei oder vier Totengräber?“
„Ich kann es nicht glauben, Herr Klaus, wollen Sie mich quälen? Was geht mich das an, ob sie Handschuhe tragen, weiße oder rosa?“
„Es sollte Sie aber interessieren“, fügte er gelassen hinzu, so als ob er gar nicht bemerkt hätte, dass ich vor Nerven zitterte, mir die Tränen vor Verzweiflung, Müdigkeit und Angst kamen. „Es sollte Sie interessieren, ja, ja“, fügte er leise und anscheinend nachdenklich hinzu, „denn die Handschuhe müssen auch Sie bezahlen … andere Farbe, anderer Preis.“
„Unglaublich“, konnte ich noch flüstern, „unglaublich. Sie machen Geschäfte mit der Verzweiflung und dem Schmerz.“ Da schau her, welche Farbe die Totengräberhandschuhe haben!
„Nein, gnädige Frau, ich unterstütze Sie in diesen Augenblicken, ich mache keine Geschäfte, aber alles wird bezahlt, Gnädigste, alles.“

Hier griff meine Tochter ein und schnitt Herrn Klaus jedweden Elan ab.
„Keinen einzigen Handschuh, zwei Totengräber, wenn es geht, ohne irgendetwas, das Geld kostet.“
„Und wo bleiben die Sterbebildchen und die Anzeige? In welcher Zeitung, wünschen Sie, soll sie erscheinen, mit einfachem oder doppeltem Rand, mit welchen Buchstaben?“

„Sterbebildchen? Die gestalten wir selber.“
„Aber Sie sind doch in Trauer, wie wollen Sie jetzt zwischen Weihnachten und Neujahr Freunde und Nachbarn benachrichtigen?“
„Machen Sie sich da mal keine Sorgen“, antwortete sie, „wir schreiben sowieso Weihnachtskarten und wir haben ein Telefon.“

Dann hat sie mich an der Hand genommen, sagte Herrn Klaus er möge uns ein Angebot machen, aber so billig wie möglich, und fügte auf der Türschwelle hinzu:
„Nach einer Stunde kommen wir wieder und wenn Ihr Angebot uns nicht passt, gehen wir zu einem anderen Bestattungsinstitut. Aufs Wiedersehen.“

Mutter hätte sich vor Lachen verbogen, wenn sie mich so verloren zwischen diesen Regalen mit verschiedenen unnötigen Souvenirs für Tote gesehen hätte.

Seit jenem Tag weiß ich, wie es sein wird, wenn ich mein Dasein beende, man wird genauso diskutieren über die Anzahl der Totengräber, die Handschuhe und den Preis der Kränze … Die Nachbarn werden lästern, wenn keine teuren Blumen rundherum sind und sie niemand ins Restaurant einlädt, sie werden mich schnell und verärgert vergessen … Es hat sich anscheinend nichts geändert, seit Mutter aus ihrem Dorf in Siebenbürgen weggezogen ist.

Nichts. Und ich weiß noch etwas, das mir ein Gefühl der Ruhe beschert. Mutter hätte sich gefreut, zu sehen wie ihre Enkelin einem Sargverkäufer Paroli bietet. Und jetzt war ich sicher: Sie wird sich in der Welt, in der es gut ist, Geld zu haben, zurechtfinden, auch wenn man es nicht sieht.


[aus dem Rumänischen von Anton Potche]



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