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- - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - 2010-10-17
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Mit Ausnahme des “Bartkrieges”, auch von mir gewonnen, waren das Ende des siebten und der Anfang des achten Jahrzehnts relativ unaufgeregt. Man gab der Kultur etwas Geld, es wurden etliche Begegnungen mit Schriftstellern organisiert, die alle mit bemerkenswerten Feiern endeten. Eine von ihnen wurde sprichwörtlich: In Bacău fand das erste George-Bacovia-Festival* statt, wobei die Behörden sich bei den Festessen überboten. Also für Speise und Trank sorgten die Kreisparteiorganisation und vor allem der Schriftstellerverband. Es waren mehr als 100 Schriftsteller jeden Alters und jeder Größe anwesend. Die Seele dieser superben literarischen Kraftdemonstration war der Dichter Radu Cârneci, von Beruf Forstingenieur, der aber Chefredakteur der Zeitschrift „Ateneu“ geworden war. Die Stadt war völlig bacovianisiert, was selbst heute nicht mehr vorkommt, da es für so etwas kein Geld mehr gibt. Die Festivals, ob in Botoşani (Mihai Eminescu), Cluj (Lucian Blaga) oder Târgu-Jiu (Tudor Arghezi), schaffen es kaum noch, 20 – 30 Gäste an die Tische zu bringen, zu Gelagen, die kaum ein Viertel des einstigen Geselligkeitsgrades erreichen.
Aber damals, 1971 in Bacău, das war wirklich übertrieben. Die Behörden hatten die Anweisung gegeben, in allen Wirtshäusern und Cafés der Stadt Tische zu reservieren, alle Straßen waren voll von gelben und violetten, mit Versen von Bacovia beschrifteten Banner – keine Spur von irgendeinem roten Spruchband -, es wurde die beeindruckende Statue Bacovias, von seinem viel zu früh ins Reich der Heiligen abberufenen Freund Constantin Popovici gemeiselt, enthüllt, es wurde ein dem Dichter gewidmetes Museum zu seinem Geburtstag eröffnet und anderes dergleichen. Im Gedenken an den dem Trinken zugetanen Poeten war so gut wie niemand nüchtern in den Straßen, wie auch in den Konferenzsälen, der Wein floss in Strömen, ehei, was für Zeiten – und besonders weil die meisten von uns noch sehr jung waren. Viele von ihnen sind schon für immer gegangen: Zaharia Stancu, Traian Iancu, Laurențiu Fulga, Mihai Petroveanu, Agatha Grigorescu-Bacovia, Dan Laurențiu, Mihai Sabin, Mihai Ursachi, Ioanid Romanescu, Alexandru Andrițoiu und viele mehr. Andere von uns halten sich kaum noch in den Scharnieren, obwohl wir damals nüchtern geblieben waren. Nur Radu Cârneci hält sich mit seinen fast 80 Jahren noch wie eine Tanne, wahrscheinlich dank der Forstwirtschaft – von ihm könnt Ihr euch diese Geschichte noch bestätigen lassen. Aber nicht darüber wollte ich reden, über das, was gut war. Schlecht war, dass wir nicht ins Ausland reisen durften. Ich war zum Beispiel 30 Jahre alt und hatte keinen Fuß fremdes Land gesehen, keine Spur von einer Ungarin oder Bulgarin, nichts. Es waren nur einige Glückliche, die die mit den Delegationen des Schriftstellerverbandes reisten, aber ihre Zahl war klein und geheim. Auch ich träumte, irgendwohin zu fahren, besonders nach Spanien, dessen Musik ich in der Studentenzeit machte und danach im Kelterhaus des Mongolen in Cluj, wo ich sowohl sang als auch selbst Flamenco in den ersten Jahren der „Echinox“*, zu deren Aufbau ich auch beitrug, tanzte. Eben darum blieb mir auch ein Vers aus dem Anfangswerk, dem ersten Band, „Der schiefe Turm“, des Kollegen Nicolae Prelipceanu in Erinnerung: „aus Spanien meinen Bär / bracht’ ich mit dem Schlitten her“. Der Vers wurde vom Autor selbst phlegmatisch und zynisch rezitiert, denn in Spanien herrschte Franco und in seinem faschistischen Vaterland hatten Kommunisten nichts zu suchen. Aus Cluj sahen dieses Land im Eildurchlauf nur einige Fußballer und wenige Handelsreisende, aber im Stile Flugzeug – Hotel – Stadion – Flugzeug. Wir hatten nicht einmal eine Botschaft in Madrid. Und doch träumte ich innig, das Unmögliche zu sehen, also Spanien. In der Regel erfüllten sich fast alle Wünsche in meiner Brust, mehr aus glücklichem Zufall als aus Hartnäckigkeit oder Beziehungen. So auch mit Spanien. Es ergab sich, dass wir gegen Winter des Jahres 1973 – ich war schon Parteimitglied, denn anders hätte das folgende Wunder nicht stattfinden können – zu einer großen U.T.C.-Sitzung einberufen wurden, gleichzeitig auch eine Versammlung aller Jungforscher aus der Filiale Cluj der Akademie der Sozialistischen Republik Rumänien, auf Ansuchen der Vorsitzenden der Filiale, Genossin Akademiemitglied Raluca Ripan, die erste Chemikerin des Landes, die diese Stelle begleitete, bis zum Erscheinen der Analphabetin Elena aus Petreşti*, die Dame, also die Genossin des rumänischen Landes. Wir versammelten uns, etwa 60 – 70 Jugendliche, im „Taschensaal“ des Kulturhauses der Studenten. Wie die Sitzung zur verhängnisvollen Stunde 18 (schon Abend) an einem kalten Tag stattfand, wärmte ich mich mit circa 400 Gramm Stalicinaia-Wodka in den Bars rund um den Friedensplatz auf. Ich betrat also sichtlich gut gelaunt den Saal, aber damit niemand sieht, dass ich ziemlich groggy war, installierte ich mich mit der Absicht, etwas zu dösen und keineswegs an der Diskussion teilzunehmen, im Hinterraum des Saales. Was auch geschah, besonders da meine jüngeren Kollegen, verunsichert von der beeindruckenden Anwesenheit der Akademikerin, nur von Besen, Kreiden, Krepppapier und ähnlichen Dingen sprachen. Ich aber wachte in keiner Weise auf. Beim Versuch, die Augen zu öffnen, merkte ich, dass die Sitzung ihrem Ende zusteuerte, aber zum Abschluss die „Chefin“ noch reden sollte. Eine andere Langeweile, sagte ich mir, und begann wieder, vor mich hin zu schlummern. Bis ich fatalerweise eine Phrase der distinguierten Chemikerin, in ihrem moldauischen Tonfall auffing. Ich habe sie mir bis heute in voller Länge gemerkt: „Ich bin her gekommen, liebe junge Genossen, um eure Sorgen zu hören, derweil habt ihr mir allerlei Nichtigkeiten erzählt. Habt ihr noch nicht erfahren, dass ich stark bin und so manche wichtige Probleme lösen kann? Ich gehe sehr enttäuscht von hier ob der Art und Weise, wie ihr diskutiert habt.“ Ich erlebte damals, was auch Andrei Pleşu nach seinen Aussagen widerfahren ist: Ich spürte plötzlich, dass mein Adrenalinspiegel stieg und sich eine Feder unter meinem vom vielen Sitzungssitzen ermüdeten Allerwertesten ausdehnte. Es war etwas Reales, denn ein Mitglied der Großen Nationalversammlung, den ich mal fragte, ob es nicht erniedrigend war, sich dauernd bei den leeren Phrasen des Staatschefs zu erheben und mit Ovationen zu applaudieren, antwortete mir sehr ernst, dass sich alle sehr freuten aufzuspringen, denn es schmerzten ihre Hinterteile vom vielstündigen Sitzen, solange der großartige Redner eben sprach. Infolgedessen hob ich, trotz des Protokolls, das nach der Rede der Chefin das Sitzungsende vorsah, aus der Tiefe des Saales die Hand. Der UTC-Sekretär der Filiale entdeckte mich, ich habe seinen Namen vergessen, vielleicht etwas mit U, und machte mir hartnäckig Zeichen, die Hand zu senken. Die Wahrheit ist, dass ich, wäre ich nicht von dem Wodka besoffen gewesen, nie den Mut gehabt hätte, zu tun, was ich tat. Aber so gab mir der russische Wodka Antrieb, genau wie dem russischen Befreiungssoldaten, den Păstorel in einem Epigramm, das ihn ins Gefängnis brachte, darstellte: „Es gingen auf der Straße ein Russe und eine Kanone / Auch die Kanone Russe / Und der Russe Kanone“*. Das Glück wollte es, ursprünglich glaubte ich ans Pech, dass Raluca Ripan meine wie eine Fahne bei den 1. Mai-Arbeiterkundgebungen flatternde Hand sah und wider jedwedes Protokoll sagte: „Ja, lasst doch den Jungen reden, vielleicht sagt er etwas Vernünftigeres!“ So bekam ich das vermaledeite Wort. Ich habe mich, von dieser launischen Feder angeschoben, kerzengerade aufgerichtet und ertappte mich sagend (ich gebe mit einer Genauigkeit wider, die von vielen Anwesenden bestätigt werden kann): „Ich danke ihnen, Genossin Vorsitzende“, – selten benutzte ich die kommunistische Anrede, aber in diesem Fall hatte ich keine Wahl, denn ich konnte ihr nicht sagen Frau, war sie doch mit ihren 70 Jahren Jungfrau und es ziemte sich nicht, sie daran zu erinnern, und außerdem war das Wort in jener Zeit bürgerlich und verpönt – „im Namen meiner jungen Kollegen aber glaube ich nicht, dass sie uns wirklich alle Wünsche erfüllen können. Ich hätte zum Beispiel zwei Wünsche, die Sie mir mit Sicherheit nicht erfüllen können, und zwar, seit zwei Monaten verlange ich, dass man das Schloss zu meinem Büro repariert und es geschieht nichts und dann würde ich noch gerne eine Studienreise machen“ - und ich dachte zuerst an Honolulu, aber das war dann doch zu arg und ich suchte in Gedanken schnell nach einem sehr schweren Land, das ich auch meinen heißen Wünschen entsprechend fand –, „nach Spanien. Diese zwei Wünsche können Sie mir nicht erfüllen.“ Der Saal war versteinert, brachte nicht einmal ein ablehnendes Murren zustande, während ich, nachdem ich mich gesetzt hatte, brüsk zu mir kam und nach einem Papier kramte, um noch vor Ort meine angebrachte Demission zu schreiben. Und dann passierte etwas Unglaubliches. Zum wievielten Mal ging es mir schon so? Das Fräulein erhob sich und ging, ohne etwas zu sagen, hinaus aus dem Saal in den ebenso langen Korridor, der auf den Balkon – wieder Balkon, wie so viele andere Balkone, die unsere bewegte Geschichte und besonders Zeitgeschichte prägten – des Hauses der Studenten führte. Der Saal hatte mehrere Türen, die sich bei den Bällen öffneten und so ein großer Tanzsaal entstand. Ich ging durch die letzte dieser Türen. Als ich auf den Hauptausgang zusteuerte, der vorne lag, sah ich mit Entsetzen, dass die Vorsitzende stehen geblieben war und, als sie mich auf eine Distanz von fast 15 Metern erblickte, mir ein Zeichen mit dem Finger machte und dabei sagte: „Komm mal her zu mir, Genosse Spanier“, und es tat sich ein Zeremoniumsspalier zwischen ihr und mir auf, den ich mit beklommenem Herzen durchschritt, während sie dauernd sprach, „und du glaubst wirklich, dass ich dir deine zwei Wünsche nicht erfüllen kann? Die mit dem Schloss, lass sie, ich werde morgen mit Colşeriu reden und der wird es dir machen. Aber mit Spanien? Hast du ein dementsprechendes Gesuch eingereicht?“ Entsetzt brachte ich kleinlaut ein schuldiges „Nein!“ heraus, und senkte meinen ohnmächtigen Blick. Mit einer sich spontan aufhellenden Miene fuhr das Fräulein fort: „Ei, siehst du? Warum redest du dann? Stelle du mal einen Antrag und komm mit ihm zu mir, aber erschrecke nicht, wenn die dich dann hinauswerfen, versuche es immer wieder, bis sie dich empfangen und dann rede.“* Und dann ging sie, mich verblendet und unentschlossen unter den Augen meiner erstaunten Kollegen zurücklassend. Am zweiten Tag verfasste ich den absurdesten Text meines Lebens, kalligrafisierend, dass Unterzeichneter, etc., etc., wünsche eine Studienreise nach Spanien zu machen, aus diesen und diesen Gründen. Letztendlich wenig Worte, aber umso idiotischer. Ich ging mit ihm zum Direktor des Linguistikinstituts, Professor Ioan Pătruț, möge er seine Ruhe gefunden haben, denn er war ein anständiger Mensch und er liebte den Rum sowie das Banater Volkslied, aber er war auch ein Slawist von großem Kaliber, und ich legte ihm das Gesuch unter die Nase, damit er es laut Protokollvorgabe unterschreibe. Der Professor, elegant und mit einer gutmütigen Bassstimme, hat es gelesen, breit gelächelt und mich gefragt: „Was ist mit dem?“ „Genossin Ripan hat verlangt, dass ich das mache“, habe ich einigermaßen verschämt geantwortet, denn die Absurdität des Inhaltes war mir bewusst. Der Professor lächelte weiter, nahm den Füllhalter (Kugelschreiber gab es noch keine in Rumänien) und sagte mir, bevor er unterschrieb: „Schau her, ich unterschreibe dir, aber schau mich an, ich bin Universitätsprofessor, Direktor eines akademischen Instituts, ich habe viele Länder gesehen, aber was immer ich versucht habe, Spanien zu sehen, es ist mir nicht gelungen. „Wenn du es schaffst“, schloss er mit feiner Ironie, „komm her und erzähle mir auch.“ Dann ging ich zum Parteisekretär um eine Unterschrift, derselbe Grigore Rusu, der in die Bartgeschichte involviert war. Er las sie und bekam einen Schreckanfall, wie sollte er eine solche Ungeheuerlichkeit unterschreiben, eine Fahrt in ein faschistisches Land, in dem besonders ein Jugendlicher leicht „bleiben“ könne (was ich auch feststellen sollte) und er „zur Verantwortung gezogen“ würde. Er unterschrieb erst, nachdem ich ihm kurz das Geschehen am Vorabend geschildert hatte. Mit dem Papier, versehen mit den zwei Unterschriften, wurde ich am nächsten Morgen im Kabinett der Vorsitzenden vorstellig. Ich war angezogen, was bei mir selten vorkommt, wie zur Hochzeit, weißes Hemd und Krawatte, wie Doina Grecu, die gewesene Sekretärin der Vorsitzenden, es mir zu dieser Vorstellung geraten hatte. Sie hat mich „sofort“ empfangen, ich habe mich tief verneigt und ihr aus angemessener Entfernung respektvoll das verrückte Gesuch überreicht. Sie hat es genommen und aufmerksam durchgelesen, zur Seite gelegt, mich über ihre Brille mit vielen Dioptrien angesehen und noch gesagt: „So, also willst du, Genosse Spanier, unbedingt nach Spanien? Schau, wenn du willst, schicke ich dich morgen nach Paris.“ Wahrscheinlich hatte sie realisiert, wie schwierig das Unterfangen war. Ich glaube sie hat selbst Madrid nie gesehen und versuchte, ihr Versprechen abzuschwächen. Dann erhöhte auch ich die Schlagzahl meiner Unverschämtheit und antwortete klar und deutlich: „Genossin Vorsitzende, wenn ich Spanien gesagt habe, bleibt es Spanien.“ Mir war klar, dass ich nicht mehr zurück konnte, und ich glaube, richtig gehandelt zu haben. Mit einer Geste hat sie mich entlassen, ja, ich habe noch gesehen, wie sie mein Gesuch in einen leeren Ordner legte, und nachträglich habe ich erfahren, dass sie sich abends in den Zug setzte und nach zwei Tagen mit der Genehmigung des Präsidiums der Akademie für meine Spanienreise zurückkam. Was sie ihnen gesagt hat, weiß nur der Herrgott im Himmel, wahrscheinlich hat sie ihnen erklärt, dass ihr Name auf dem Ruf stehe und sie beschädigt aus dieser Geschichte herauskommen würde, wenn sie nicht erfolgreich wäre, aber sie war auf jeden Fall eine starke Frau im Staat und wird sich ihrer gesamten Autoritätspalette bedient haben. Ich habe auch manchmal bemerkt, dass der Dünkel der kommunistischen Nomenklaturkader sich bis ins Absurde steigerte, wenn sie einfache, ganz normale Gesuche blockierten und im Gegenteil unglaubliche Anträge genehmigten, um eben sich und anderen die eigene Macht zu beweisen. Dieser Brauch wurde von Stalin geerbt, der oft mit solchen Widersprüchen überrascht hat. Sie, Frau Raluca Ripan, war aber eine Frau, die in einer anderen Welt lebte, so dass sie mich in den folgenden Wochen, ja sogar Monaten, bei jeder Begegnung ohne jedwede Ironie fragte, ob ich in Spanien war. Sie hatte keine Ahnung, dass in unserer, der anderen, Welt auch die Securitate existierte, die letztendlich entschied und das großartige „Auslandsvisum“ gab. Als ich ihr das Wie und Wider erklärte, hat sie anscheinend auch noch angerufen, wo es nötig war, was auch gewogen hat. Aber das entscheidende Wort hatte mein bedauernswerter Onkel, der Oberst, der schlicht und einfach für mich bürgte. Er hat garantiert, aber mich auch deutlich darauf hingewiesen, dass er mich persönlich suchen und eigenhändig erschießen werde, wenn ich vielleicht „bleiben“ sollte. Hör her, auf den eigenen Neffen schießen!! Es gab noch ein Problem, genauso schwerwiegend: Ich hatte kein Recht auf fremde Währung und die genehmigte betrug nur 15 Dollar, womit du dort höchstens zwei Tage in miserablen Bedingungen überleben konntest. Auch hier hat Raluca Ripan mir geholfen. Bei einer der Begegnungen, als sie mich wieder fragte, ob ich schon in Spanien war, beklagte ich mich wieder und sie telefonierte mit der Auslandsabteilung der Akademie, man möge mir doch den „Höchstbetrag“ von 70 Dollar gewähren. Und vielleicht hätte ich sie trotzdem nicht bekommen, wenn mir nicht eine verrückte Inspiration zupassgekommen wäre. Mich nach dem Lauf der Dinge interessierend und feststellend, dass sich nichts rührte, stieg ich einfach in den Zug und wurde eines Morgens im Büro für Auslandsbeziehungen der Akademie in der Calea Victoriei, Bukarest, vorstellig. Das Szenario hatte ich mir zu Hause zurechtgelegt: entweder - oder, auf Risiko. Ich habe das entsprechende Büro gesucht und es mit einem gelangweilten Gehabe betreten – eigentlich war ich müde von einer Nacht im Zug und zweifelte gehörig am Gelingen meines Vorhabens. Und ohne Worte – ich wurde auch nichts gefragt – zog ich mir aus einem leeren Büro einen Stuhl heran und setzte mich in den Weg der beschäftigten Funktionäre, selbstverständlich mit Graden, wenn auch in Zivil, vom Major aufwärts. Sie stolperten über mich, bis endlich einer irritiert fragte, was ich da suche. Ich erwiderte gelassen und mit nonchalanter Miene, dass diese Frage gut käme, dass ich Taşcu aus Cluj wäre, die Genehmigung für Spanien und die Höchstwährung besäße, aber auch wisse, dass sie auch die Gewohnheit hätten, die eine oder andere Genehmigung noch zu verzögern, das eine oder andere Papier verlören, so dass der Mensch langsam, langsam doch nicht mehr zum Wegfahren käme, und dass ich ihnen rate, mit mir nicht genauso zu verfahren, sonst gäbe es Feuer unter den Arsch. Genau so habe ich ihn direkt angesprochen. „Genosse, was erlaubst du dir?“, flüsterte er, aber mit einer sichtbaren Aufmerksamkeit. „Nein, nein“, unterbrach ich ihn, „es ist richtig, dass wir gemeinsam sterben werden, aber ich werde euch Feuer legen, denn ich will um jeden Preis nach Spanien!“ Und ohne andere Kommentare „nahm ich Hut und Stock“, wie derselbe Păstorel* sagen würde, und verlies wütend, die Tür absichtlich hinter mir zuschlagend, den Raum. Meine Rechnung war einfach, aber effizient. Den Behörden gelang es immer wieder, durch Verzögerungen und Verlegungen von Papieren die Ausreisen bis zum Verlust der jeweiligen Opportunität aufzuschieben. Sie hatten keine Lust, für etwaige unerwünschte Vorkommnisse geradezustehen. Aber wenn so einer wie ich, derart klar und unverschämt daherkam, nahmen sie an, der Mensch ist entweder verrückt, und es macht keinen Sinn, sich mit ihm anzulegen, oder er hatte einen Mächtigen hinter sich. Und dann geschah das Wunder: Verstärkt durch das Telefonat Vorsitzender – Onkel, der Oberst, aber auch entscheidend durch meine Impertinenz, wurden die hohen Offiziere der Akademie dazu veranlasst, mir alle Dokumente zuzugestehen, ohne dass ich eine Schokolade dafür ausgegeben hätte, wie es noch üblich war. Alles wurde mir später telefonisch mitgeteilt, aber auch so haben die Formalitäten sich von November bis August, fast ein Jahr, hingezogen. Mittlerweile erhielt ich dank Herrn Marius Salas, zurzeit Vorsitzender der Akademie, Gewogenheit eine Einladung zu den Sommerkursen nach Malaga, wo ich am 1. August 1974 eintreffen sollte. Ich kam erst am 5. August an, aber auch das reichte. Das Visum nahm für mich der große Spezialist Ion Dumitriu-Snagov, der Herr sei ihm gnädig, der so eine Art Protokollchef in einem Ministerium und ein Bekannter des Oberstonkels war. Bei dieser Gelegenheit war ich in seiner Villa am Snagov-See. Aber ich habe erst viel später erfahren, dass er politisch eingesperrt war und später Forscher im Vatikan wurde. Er war auch der Autor des wichtigen Sachbuches, das ich ihm im Verlag „Clusium“ veröffentlicht habe. Der Onkel hielt viel auf ihn, man sah aber, dass er im Grad über ihm stand, denn er nannte ihn im Spaß „Gicã* Bibliothek“ Jahre nach der Revolution haben wir uns in Rom wiedergesehen, wo er seine Forschungen, die das Gefängnis unterbrochen hatte, fortsetzte. Danach trafen wir uns öfter in seinem Appartement neben dem Eforie-Saal zusammen mit unserem gemeinsamen Freund Nicolae Mocanu, mein Stellvertreter im Verlag. Also durch seinen Einsatz habe ich das Ausreisevisum aus Rumänien und das Einreisevisum für das franquistische Spanien erhalten. Mit dem Pass ging ich zum Haus der Schriftsteller, um das Mittagmahl einzunehmen und nicht „zu servieren“, wie die Wertvollen vom Lande es nennen. Dort traf ich zufällig (wirklich?) einen gewesenen Clujer Kumpel, I. P., über den ich viel später erfuhr, dass er mit einer Bildhauerin, Securitategeneralstochter, verheiratet war, der mir einen Zettel mit einer Madrider Telefonnummer gab, an der sich der Ideologe Horia Simas*, der noch in Spanien lebte, melden sollte. Zum Glück habe ich diese Nummer mehr aus touristischen Gründen als aus Angst nicht benutzt, aber ich merkte, dass ich in Spanien Schritt für Schritt verfolgt wurde. (Ich werde noch darüber berichten.) Am nächsten Tag ging ich mit dem gestempelten Pass in ein Office, das irgendwo auf dem einstigen Boulevard der Republik lag, um mir die harte Währung zu holen. Überaus glücklich, mit dem Pass in der einen und mit 70 Dollar in der anderen Tasche, interessierte mich überhaupt niemand mehr auf dieser Welt. Ich hatte auch schon eine Zugfahrkarte gelöst, die damals nur etwas mehr als einen Monatslohn kostete, obwohl die Route enorm war: Cluj- Budapesta –Viena – Geneva – Barcelona- Valencia – Majaga und retour Majaga – Toledo – Madrid – Milano – Beograd – Timişoara – Cluj. Auf dem gleichen Boulevard lag die Botschaft Israels. Träumend von der Reise meiner Träume, die näher rückte, übersah ich das Gehverbot auf dem betreffenden Gehweg und begriff erst, als ich die Kälte einer Gewehrmündung auf meiner Brust spürte. Instinktiv hob ich die Hände und rief dem rumänischen Soldaten mit dem Finger am Abzug zu: „Was machst du, Mensch?“ Worauf der arme Rekrut aufatmete und erwiderte: „Herrgott, gut dass du Rumäne bist, wir haben Befehl auf alle mit fremdem Aussehen zu schießen.“ In Wahrheit ähnelte ich, es war Sommer, gut gebräunt und mit meinem schwarzen, in Rumänien so seltenen Vollbart, einem arabischen Terroristen, und wie die arabische Welt mit dem Judentum im Krieg lag... Am nächsten Tag stieg ich in den Zug und fuhr mit Eugen Uricaru* nach Cluj. Ich konnte mich nicht beherrschen – ein großer Fehler im Securitatekommunismus – und zeigte Eugen auf seinen Wunsch, der so etwas bis dahin noch nie gesehen hatte, die Dollarscheine. Auch die anderen Insassen des Abteils schauten neugierig hin und ein etwas Vigilanter stieg im Bahnhof von Teiuş, wo der Zug etwa zehn Minuten hielt, aus und kam mit einem Milizionär zurück, der mir den Personalausweis verlangte und mich nach der Herkunft der Valuta fragte. Oh, heiliges spontanes Denunziantentum, der Anzeiger war enttäuscht, als ich den Pass und die Besitzgenehmigung für die fremde Währung vorwies; ihm hätte es behagt, wenn man mich verhaftet hätte, obwohl ich ihm überhaupt nichts Böses angetan hatte. Endlich, ausgestattet mit allem Nötigen, einschließlich dem Sibiu-Salami, Bohnenkonserven mit Schweinerippchen, Päckchensuppen, alles in einem Koffer und einem Rucksack verpackt, stieg ich am 2. August 1974 in den Zug nach Budapest, um meine erste und eine der wenigen Reisen über die Grenze, die ich in den 15 Jahren bis zur Revolution unternehmen sollte, anzutreten. Kaum war ich im Zug, hörte ich bei Huedin auch schon eine Stimme, die fragte: „Wo ist unser Rumäne, der nach Spanien fährt?“ Alles war bekannt, alles kontrolliert, nicht mal eine Fliege konnte entwischen, auch nicht der Vogel am Himmel und der Fisch im Wasser – dem „langen Arm der Securitate“. [aus dem Rumänischen von Anton Potche] Anmerkungen*: - George Bacovia (1881 – 1957) = rumänischer Lyriker - Echinox = Studentenzeitschrift in Cluj, gegründet 1968 - Elena aus Petreşti = gemeint ist Elena Ceauşescu, die Frau des Diktators - Und der Russe Kanone = es gibt im rumänische den Ausdruck „beat tun“ – „kanonen besoffen“ oder vereinfacht „tun“ für „sternhagelvoll“. - ... und dann rede. = die Akademikerin sprach einen lupenreinen moldauischen Dialekt (nicht übersetzbar) - Păstorel = Spitzname des rumänischen Epigrammatikers Alexandru O. Teodorianu (1894 – 1964) - Gică = Rufname, umgangssprachlich für Gheorghe oder George - Horia Sima (1906 – 1993) = Vorsitzender der faschistischen Organisation „Eiserne Garde“. - Eugen Uricaru (*1946) = rumänischer Schriftsteller, war Mitbegründer und erster Chefredakteur von Echinox |
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